Die Geschichte des Tropfers - Gratistropfen seit den 1920er Jahren
Im Ladengeschäft in der Kantstraße hängt er heute wieder gut sichtbar: der Tropfer. Ein Objekt aus Metall und Chrom, das Tropfen für Tropfen Duft spendet. Besucherinnen und Besucher bleiben davor stehen, schauen neugierig, stellen Fragen. Manche erinnern sich noch an ihn, andere entdecken ihn zum ersten Mal. Der Tropfer erzählt eine Geschichte, die fast so alt ist wie die Parfümerie selbst.
Die Erfindung und ihre Idee
Harry Lehmann selbst war es, der den Tropfer erfand. Bereits in den 1920er Jahren, kurz nach der Gründung der Parfümerie, hing eine erste Version dieser Erfindung an der Außenfassade des ersten Geschäfts an der Potsdamer Brücke. Die Idee dahinter war so einfach wie großzügig: Duft sollte zugänglich sein und erlebbar werden. Und das, bevor man ein Geschäft betritt. Im oberen Gefäß wurde der Tagesduft eingefüllt, der dann durch Schwerkraft langsam hinabtropfte. Im unteren Gefäß wurde das Parfüm aufgefangen, damit es wiederverwendet werden konnte. Einfach, elegant und genial.
Passantinnen und Passanten konnten im Vorbeigehen einfach die Hand oder ein Tuch darunterhalten und einen Gratistropfen des Tagesduftes auffangen. Kein Verkaufsgespräch, keine Verpflichtung, nur ein kleiner Luxus, verschenkt an die Stadt.
Der Tropfer wurde schnell mehr als nur eine praktische Erfindung. Er wurde zu einem Erkennungszeichen, zu einer Attraktion im Berliner Straßenbild. Menschen blieben stehen, probierten, schnupperten. Viele von ihnen kamen später als Kundinnen und Kunden wieder. Der Tropfer machte Duft zur Begegnung.
Durch Krieg und Jahrzehnte
Die erste Version überstand den Zweiten Weltkrieg nicht. Doch bereits 1952 hing eine neue Version des Tropfers vor dem Geschäft in der Joachimsthaler Straße „Am Zoo" und erfuhr erneut besondere Beachtung. Nun würdigte auch die Presse diese besondere Berliner Erfindung. Der Tropfer wurde stadtbekannt, ein Symbol für die Parfümerie und ihre besondere Art, Duft in die Welt zu bringen.
Bis in die 1970er und 1980er Jahre hinein tropfte der Duft des Tages vor dem Laden - dann in der Kantstr. 106 - in die Hände neugieriger Berlinerinnen und Berliner. Jutta Dallmann, die seit 1958 in der Parfümerie arbeitet und auch heute noch mehrmals wöchentlich im Geschäft ist, erinnert sich gut an jene Zeit. Einmal, so erzählt sie, hielt eine Kundin nicht die Hand unter den Tropfer, sondern ein ganzes Glas und wollte es vollmachen. Viele andere hielten ihre Taschentücher darunter, um den Duft auszuprobieren und kennenzulernen.
In den 1980er Jahren ging der Tropfer kaputt. Er verschwand im Keller, wo er viele Jahre lang lag, ein vergessenes Stück Firmengeschichte.
Wiederentdeckung und neues Leben
Nach der Übernahme im Jahr 2023 war die Wiederentdeckung des Tropfers eine echte Überraschung. Bei der behutsamen Aufarbeitung der Räume und der reichen Geschichte des Hauses stießen wir im Keller auf dieses besondere Objekt. Ein Fund, der Fragen aufwarf und Geschichten erzählte. Schnell wurde klar: Der Tropfer gehört zu HARRY LEHMANN wie die Apothekerflaschen und der Schreibtisch von Harry Lehmann selbst.
Der Tropfer wurde umfangreich restauriert. In professioneller Aufbereitung wurde das alte Metall wieder zum Glänzen gebracht und die Mechanik und Beleuchtung repariert. Nach ersten Versuchen zeigte sich, dass die Gefäße stark verschmutzt waren und die Reinigung nicht ausreichte. In Eigenleistung wurde das Innenleben des Tropfers überarbeitet und zudem elektrifiziert. Eine kleine, innenliegende Pumpe bringt das Parfüm nun auf Knopfdruck wieder in das obere Gefäß. Die alte Idee und die alte Funktionsweise sind unverändert, nur das Wiederbefüllen geht nun einfacher von der Hand.
Draußen vor dem Laden hängt der Tropfer heute nicht mehr, doch gut sichtbar im Ladengeschäft hat er seinen Platz gefunden und mit ihm ein Stück Berliner Geschichte.
Wer den Tropfer in Aktion erleben möchte, ist herzlich eingeladen, im Ladengeschäft in der Kantstr. 106 vorbeizukommen. Er tropft nicht mehr auf der Straße, aber die Idee, die Harry Lehmann vor fast hundert Jahren hatte, lebt weiter: Duft erlebbar zu machen und Besucherinnen und Besucher einzuladen, den Tagesduft zu testen.